05. Februar 2023 | Menschen
05. Februar 2023 | Menschen
Seit genau 50 Jahren gibt es in der Schweiz die Ombudsstelle der Privatversicherung und der Suva. Mit ihren Büros in Zürich, Neuchâtel und Lugano sorgt sie dafür, dass das Wissens- und Machtgefälle zwischen Versicherten und Versicherern nicht zu gross wird. Ombudsman Martin Lorenzon erläutert im Interview seine Arbeit und Herausforderungen. Als erstes fällt aber auf, dass er seine Funktion nicht, wie sonst in der Schweiz allgemein verwendet, als «Ombudsmann» bezeichnet, sondern in der Version ohne N am Ende. Was hat es damit auf sich?
Der Begriff kommt aus dem Schwedischen. Das Konzept des «Ombudsman» war dort entwickelt worden, und die Stelle in Schweden war die zuerst gegründete staatliche Ombudsstelle, der ein Ombudsman vorstand. Als älteste Branchen-Ombudsstelle von Europa hat sich unsere Stiftung bei ihrer Gründung 1972 am schwedischen Begriff «Ombudsman» orientiert. Dementsprechend ist unsere Stiftung im Handelsregister als «Stiftung Ombudsman der Privatversicherung und der Suva» eingetragen.
Welche Arten von Ombudsstellen gibt es im Versicherungsbereich? Mit anderen Worten: In welchem Fall muss ich mich als Versicherte/-r an wen wenden?
Aktuell gibt es im Versicherungsbereich zwei Ombudsstellen, aber hoffentlich schon bald drei. Als unabhängige und neutrale Institution sind wir zuständig für die Vermittlung bei Meinungsverschiedenheiten mit den unserer Stiftung angeschlossenen privaten Versicherungsgesellschaften und der Suva in versicherungsrechtlichen Angelegenheiten. Zudem prüfen wir Meinungsverschiedenheiten aus Hypothekardarlehensverträgen für selbst benutztes Wohneigentum mit den uns angeschlossenen Versicherern.
Für Krankenkassenangelegenheiten, also Probleme mit der Krankenkassen-Grund- und Heilungskostenzusatzversicherung, gibt es eine separate Ombudsstelle in Luzern: die Ombudsstelle Krankenversicherung.
Schon bald dürfte es eine dritte Ombudsstelle geben: Die Swiss Insurance Brokers Association (SIBA) hat in einer Medienmitteilung vom 10. Dezember 2021 zugesichert, eine Ombudsstelle für ungebundene Versicherungsvermittler/-innen ins Leben zu rufen. Damit werden auch diese die Möglichkeit erhalten, sich einer Ombudsstelle anzuschliessen, an welche sich ihre Kunden bei Meinungsverschiedenheiten wenden können.
Was ist genau die Rolle des Ombudsman?
Zusammen mit meinem Team leiste ich einen Beitrag zum Ausgleich des Wissens- und Machtgefälles zwischen Versicherten und Versicherern. Wir vermitteln lösungsorientiert in Konfliktsituationen, ohne eine Seite zu bevorzugen. Ombudsleute müssen unabhängig, neutral und fair bleiben. Unsere Dienstleistung ist für die Versicherten kostenlos. Wir ermöglichen mit unserer Arbeit vielen Versicherten unbürokratisch und niederschwellig den Zugang zum Recht, oft für Personen, die sich das sonst nicht leisten könnten. Als Ombudsman habe ich im Gegensatz zu Gerichten keine Entscheidkompetenzen, aber meine Empfehlungen werden von den Versicherern überwiegend befolgt. Insgesamt führen etwa zwei Drittel unserer Interventionen zu einer Verbesserung der bisherigen Situation der beschwerdeführenden Partei.
Wir können jedoch nur so lange tätig werden, wie noch keine Klage eingeleitet worden oder in UVG- und Militärversicherungs-Angelegenheiten noch keine Verfügung ergangen ist. Wenn Versicherte bereits anwaltlich oder anderweitig professionell vertreten sind, sind wir nicht mehr zuständig.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus?
Im Zentrum unseres Tagesgeschäfts steht das Ziel, den Rechtsfrieden zwischen Versicherten und Versicherungsgesellschaften in den uns unterbreiteten Fällen herzustellen. Wir prüfen die eingegangenen Anfragen und Beschwerden zusammen mit den Akten. Dabei stehen die Rechte der Versicherten im Mittelpunkt. Im Rahmen unserer Vermittlungstätigkeit erklären wir den Versicherten die Rechtslage, legen unsere Standpunkte gegenüber den Versicherern dar, wägen Vor- und Nachteile von Lösungsvorschlägen ab und geben im Hinblick auf gütliche Lösungen konkrete Empfehlungen ab.
Dies erfordert oft einen intensiven internen Meinungsaustausch mit Beteiligten, sei es, um gütliche Lösungen mit Versicherern zu finden oder um Versicherten zu erklären, weshalb beim Versicherer nicht mehr herausgeholt werden kann, als dieser bereits offeriert hat.
Wir stehen täglich in telefonischem und schriftlichem Kontakt mit Versicherten und Versicherungsgesellschaften. Rund 60 Prozent aller Anfragen von Versicherten können bereits im Rahmen von telefonischen Kontakten erledigt werden.
Welches sind die grössten Herausforderungen Ihrer Rolle?
Am schwierigsten ist unsere Arbeit, wenn das Gerechtigkeitsempfinden von Versicherten und/oder deren Forderungshaltung oder vorgefasste Meinung nicht im Einklang mit der tatsächlichen Rechtslage steht. In diesen Fällen sind mein Team und ich besonders gefordert, komplexe Rechtsfragen so verständlich darzulegen, dass auch eine rechtsunkundige Person diese nachvollziehen kann. Das gelingt uns leider nicht immer.
Stark gefordert sind wir auch dann, wenn wir einem Versicherer, der auf seinem Standpunkt beharrt, darlegen müssen, weshalb seine Position unseres Erachtens einer gerichtlichen Beurteilung kaum standhalten dürfte. Hier müssen wir fachlich besonders gut und überzeugend argumentieren können, damit die Situation der beschwerdeführenden Partei doch noch gütlich verbessert und ein allfälliger Prozess vermieden werden kann.
Gibt es typische Probleme, die auf falsche Beratung durch die Versicherungsvermittler/-innen zurückgehen?
Wiederkehrende Probleme gibt es beispielsweise bei Lebensversicherungen. Relativ häufig berichten uns Versicherungsnehmende nach dem Rückkauf ihrer Police, dass ihnen der Versicherungsvermittler oder die Versicherungsvermittlerin beim Abschluss des Vertrags mündlich zugesichert habe, dass die Police jederzeit ohne Verlust aufgelöst werden könne – obschon dies nicht der Fall ist. Die Betroffenen konnten die geltend gemachte Zusicherung allerdings meistens nicht beweisen. Aufgrund der grossen Anzahl von gleichgelagerten Beschwerden über die letzten zehn Jahre müssen wir davon ausgehen, dass das jeweilige Versicherungsprodukt häufig zu wenig verständlich erklärt und nicht genügend transparent darüber informiert wird, dass nur ein Teil der Prämie in den «Spartopf» kommt und auch Risikoprämien, Abschluss- und Verwaltungskosten anfallen.
Probleme gibt es auch in anderen Versicherungsbranchen, so beispielsweise im Zusammenhang mit Krankenzusatzversicherungen. Wir stellten schon mehrmals fest, dass Versicherungsvermittler/-innen Versicherten ein Kündigungsschreiben zur Beendigung der bestehenden Krankenzusatzversicherung vorbereitet und dieses ihren Kunden zur Unterzeichnung und Versand zugestellt haben. Dies leider, bevor der beim Konkurrenzversicherer gestellte Neuantrag genehmigt worden war. Das darf so nicht passieren. Versicherungsvermittler/-innen müssen meines Erachtens darüber informieren, dass eine bestehende Police erst dann gekündigt werden darf, wenn der Neuantrag beim Konkurrenzversicherer akzeptiert worden ist. Ansonsten riskiert man, dass der Kunde keine Krankenzusatzversicherung mehr findet und mit leeren Händen dasteht.
Welche Themen sollten in der künftigen Aus- und Weiterbildung von Versicherungsvermittler/-innen unbedingt berücksichtigt oder verstärkt werden?
Die Lehrpläne für die Aus- und Weiterbildung von Versicherungsvermittler/-innen sind mir nicht bekannt. Eine generelle Empfehlung jedoch: Sensibilisieren Sie die Versicherungsvermittler/-innen und die Lernenden darauf, dass man ein Produkt nur dann gut erklären kann, wenn man es auch selber gut versteht. Allgemeine Fach- und Marketingkenntnisse machen noch keinen guten Verkäufer aus.